Blues

Oktober 2020

Der neue Jazzpianodozent an der Neuen Jazzschool ist ein sogenannter Newcomer-Dozent. Obwohl er noch so jung ist, hat er schon einige Erfahrung bei sich Zuhause als Klavierlehrer sammeln können. Er zieht gleich mächtig an.

 

Als erstes Stück bringt er für mich einen kleinen Blues von Chet Baker mit. Klar, eines seiner Fächer an der Schule ist die Trompete, da liegt Chet nicht fern. Ich mag ihn auch. Vor allem wenn er zu seinen eigenen Liedern mitsingt. Er hat eine so zarte und verletzliche Stimme. Deshalb möchte man ihn am liebsten gleich in die Arme schließen und festhalten. Grade auch weil man weiß, wie chaotisch sein Leben verlaufen ist.

 

Das Stück heißt „Jealous Blues“. Ich muß ihm seine Auswahl nachsehen, denn er kann nicht wissen, was ich alles noch nicht kann. Somit ist er fürs erste entschuldigt.

Es fängt mit ein paar Sechzehntel an. Meine Finger sind ungelenkig und natürlich bin ich in unserer ersten Stunde ziemlich aufgeregt. Die Noten wollen nicht so schnell gespielt werden. Ich bekomme Tipps oder Hinweise wie ich es vielleicht schaffen kann, sie schneller zu spielen. Einige davon sind mir bekannt. Mein klassischer Klavierpädagoge geht ähnlich vor. Das beruhigt mich etwas.

Am Ende der ersten Stunde wirkt er etwas irritiert. „Eigentlich wollte ich dieses und jenes mit dir noch gemacht haben.“ Da mußte ich ihn trösten und mitteilen, daß er sich jetzt schon gleich drauf einstellen kann, daß bei mir alles drei bis fünfmal so lange dauert wie bei jedem anderen.

 

JelousBluesIn der zweiten Stunde hat er mir dann ein paar von den unwichtigeren Noten der Sechzehntel erlassen und ich soll nur Viertel spielen.

Das nächste Problem taucht auf. Leider ein altbekanntes. Der Rhythmus, mein unzuverlässiger Freund.

Aber noch ist der neue Dozent sehr motiviert. Er versucht mit großen Enthusiasmus und viel Temperament mich in die Spur zu bekommen. Er ist immer in Bewegung, klatscht, klopft, stampft oder haut in die Tasten. Wenn bei mir gar nichts mehr hilft, holt er seine Schlagzeugsteckerl aus der Tasche raus und versucht mir damit darzustellen wie sich der Rhythmus anhört.

Das ist wie ein Feuerwerk und ich bin das definitiv nicht gewohnt. Und bringt mich ziemlich aus der Ruhe. Bin nach der Stunde vor lauter Informationen ganz wuschig im Kopf. Aber ich will abwarten wie es weiter geht, wir müssen uns erst mal aneinander gewöhnen.

 

In der dritten Stunde war es rhythmisch leider immer noch nicht viel richtiger. Ich hatte ihn auf sein Geheiß beim Spielen mit dem Handy aufgenommen, aber wenn ich mir es zuhause dann angehört hatte, habe ich trotzdem nicht wirklich gewußt, wann die eine Achtel auf den sogenannten Offbeat kommt.

War ja klar, daß das Thema wieder auftauchen würde.

 

Er griff zum äußersten Mittel! Ich soll Klatschübungen mit ihm machen. Helle Panik stieg in mir auf. Nein. Nein. Nein. Es kann sogar sein, das ich vor Schreck mit den Füßen auf dem Boden getrampelt habe. Bin mir nicht ganz sicher, aber es fühlte sich so an, als wenn ich es gemacht habe. Ich konnte in seinem Gesicht lesen, das er überlegte, mir was anderes vorzuschlagen.

In dieser Sekunde aber ist mir bewußt geworden, das meine beharrliche Vermeidungsstrategie sich mit dieser Thematik auseinander zu setzen, eben dazu führt das ich anhaltende Schwierigkeiten damit habe. Und das es damit in Zukunft von alleine auch nicht besser wird.
Mir wurde klar, das jetzt dieser Moment vielleicht der beste Zeitpunkt ist, um meine Probleme mit Hilfe von dem neuen Dozenten anzugehen.

Ich habe ihn gebeten Rhythmusübungen in unsere Stunden zu integrieren. Und dabei bitte um Himmelswillen nie die Ruhe und Geduld mit mir zu verlieren. Das ist mir nicht leicht gefallen, denn ich weiß ich werde mir mit diesen Übungen schwer tun. Ich sagt ihm, ich werde sehr verwirrt sein. Und das es bei mir von Verwirrtheit zur Verzweiflung oft nicht sehr weit ist. Und das ich deshalb möglicherweise auf ihn sehr wütend werden kann.

Er hat mich fest angesehen und meinte ungerührt, damit käme er schon klar. „Und jetzt aber los!“ Ich wollte und konnte ihm glauben.

 

Natürlich habe ich mich angestellt und wie ein Trottel gefühlt. Habe versucht mich trotzdem nicht zu sehr zu schämen, und mir zu merken wann diese Swing-Achtelnote auf eine unbetonte Zählzeit zu klatschen wäre.

Daheim geübt. Meinem Mann beigebracht wie es sein soll. Beim Spaziergehen in den Taschen den Rhythmus geklopft. Ich häng mich echt rein. Mal sehen, ob es mir was bringen wird.