Dämmerschlaf

Februar 2021

Ich habe weiterhin seit Anfang Dezember 2020 keinen Unterricht am Klavier mehr gehabt. Meine Bereitschaft Klavier zu üben, ist inzwischen tief in den Mariannengraben hinab abgesunken. Ich beobachte dies und kann es doch nicht ändern.

Frag mich ob das eine Art Depression ist. Geschuldet durch die Umstände. Es ist mir klar, das es mir gut geht. Ich bin unter Menschen, habe eine Arbeit, im Umfeld sind alle gesund, was soll ich da rumjammern? Meine durcheinander geratene Gefühligkeit ausbreiten? Seh zwar keine Freunde und es dürfen keine Chorproben stattfinden. Dafür habe ich mehr Zeit. Und kann die aus einer Schwäche heraus nicht nutzen. Es ist vertrackt.

Ich mußte einfach ein paar Dinge machen um nicht komplett verrückt zu werden. Dinge die ich, glaub ich, unter normalen Umständen nicht getan hätte. Das sind sogenannte L.I.P.s!  Lockdown insanity preventions.
Hatte mir überlegt ich trinke mal eine Zeitlang keinen Caffè am Nachmittag. Könnte ja spaßeshalber in der Fastenzeit auf etwas verzichten. Nachdem ich sonst keine nennenswerten Suchten pflege, wäre dieses Genußmittel noch am nächsten dran. War eine blöde Idee. Hatte nach ein paar Tagen jeden Morgen beim Aufstehen einen Brummschädel. Hat mich sehr gewundert, weil ich abends Ruhe-wohl, Bed-time, Gute-Nacht, Night-time oder sonstige Abendkräuterteesorten getrunken habe. Da war definitiv nichts mit Alkohol dabei, der für die Kopfschmerzen verantwortlich gemacht werden kann.
Habe dann selber nicht mehr ganz die Sinnhaftigkeit dieser Aktion nachvollziehen können und mit echter Freude wieder mein Nachmittagskaffee Ritual aufgenommen.

Aber so richtig gescheid wurde ich doch nicht ganz. Habe einmal beim Einkaufen lange vor dem Milchregal gestanden und mich durch die Beschreibungen sämtlicher Milchersatzangebote durchgelesen. Kühn gewesen und eine Haferbaristalatte zum Aufschäumen gekauft. Das funktioniert tatsächlich! Die ersten zwei Tage gespannt und gerne getrunken, am dritten Tag den Geschmack wieder erkannt, an Tag 4 und 5 etwas widerwillig aufgeschäumt, der Geschmack ist schon speziell, aber am sechsten Tag den Rest tapfer verbraucht.
Größter Genuß als ich wieder auf normale Milch umgestiegen bin. Ich werde dieses Experiment trotzdem irgendwann nochmal fortsetzen, dann vielleicht auf Reis- oder Mandelbasis.

Meine Friseurin wird der Schlag treffen, wenn wir uns eines fernen Tages wieder sehen werden. Seit Anfang des Jahres bin ich in einen "No Poo" Versuch eingestiegen. Wasche die Haare nur mit heißem Wasser und gieße hinterher einen großen Becher Apfelessig als Spülung drüber. Geht irgendwie, erstaunlicherweise, fühlt sich zwar manchmal komisch an. Aber die Zeiten sind einfach seltsam. (Nachtrag: auf interessiertem Hinweis von Leserin M.: es ist ein sogenanntes w/o Experiment.)

Hab das erste Mal in meinem Leben an einem Webinar teilgenommen. Es gibt einen Anbieter für Musikferien. Er heißt „Musica Viva“. Sie bieten Instrumentalreisen nach Deutschland, Österreich, Italien und Tschechien an. Das geht ja zur Zeit alles nicht. Also versuchen sie die Leute ein wenig mit Onlineseminaren zu erfreuen und bei der Stange zu halten. Ich hatte mich für eines über Rhythmik eingeschrieben. Bin weiterhin willens mich mit der Thematik auseinander zu setzen.
Hab das im Haus meines Mannes angesehen. Ich war vor Beginn wirklich aufgeregt. Und dann war es ganz harmlos. Man kann es sich wie ein Video ansehen, maximal ein paar Nachrichten schreiben, die alle Teilnehmer lesen könnten. Ansonsten hört man dem Dozenten zu und kann dabei eine Tasse Tee trinken. Hat Spaß gemacht.

FlötenequipmentAm nächsten Tag habe ich mich für ein weiteres Webinar angemeldet. Es ging um das Thema Home-recording. Dachte es wäre nicht verkehrt bei den Instagram Beiträgen für einen besseren Klang zu sorgen. Wenn schon meine musikalischen Fähigkeiten noch nicht so spektakulär sind, dann sollte wenigstens der Sound stimmen.
Mein Mann hat von der Seite mitgelauscht. Das Ende vom Lied: es gibt nun ein Interface von Steinberg, eine DAW von Cubase, ein SSSnakekabel, einen Mikrophonständer und ein Kleinkondensatormikrophon, das auch gut zum Aufnehmen für Flötentöne geeignet ist.
Nun vergräbt mein Gatte sich in die technische Welt einer DAW. Auch er will verhindern in diesen Zeiten verrückt zu werden. Er bildet sich im Selbststudium mit Hilfe von Youtube Videos zum Soundingenieur aus.

Die Chöre schlafen immer noch. Mein Montagschorleiter nimmt nun Lieder in allen vier Einzelstimmen auf, und verschickt sie mit den Noten. Ich muß sehen ob ich sie auf dem Laptop abspeichern und dann zuhause offline ansehen kann.
Meine Stimme ist komplett eingerostet. Ich habe keine Ahnung wo ich sie in mir finden könnte. Aber ich habe etwas interessantes gelesen. Die Flöte soll angeblich dem Singen sehr nahe kommen. Vielleicht ist die Entdeckung der Kellerflöte eine unbewußte Kompensation von mir. Ein kleiner Ersatz für die ruhenden Chöre.

Ein kleiner Lichtblick sind die regelmäßigen Nachrichten an uns Schüler von der Neuen Jazzschool. Das Wiederaufnehmen des offenen Unterricht wird für Anfang März vorsichtig anvisiert. Die Nachricht belebt mich etwas und ich öffne den Klavierdeckel um mal zu schauen was noch so geht.

 

Es gab eine verlässliche Konstante in den letzten Wochen! Die "Vendee Globe"! Das ist die schwierigste Segel Regatta der Welt. Sie findet nur alle vier Jahre statt. Der Routenverlauf: von Frankreich hinunter zur Antarktis, dort links abbiegen, vorbei an den Südspitzen von Afrika, Australien und Südamerika. Den Atlantik wieder hinauf bis Frankreich. Die Frauen und Männer starten im Herbst und erleben in fast drei Monaten alle Jahreszeiten, zugleich durchqueren sie fast sämtliche Klimazonen. Die gesamte Strecke ist mit knapp 44000 Kilometern etwas länger als der Äquator. Die meiste Zeit sind die Segler vom Festland weiter entfernt als die Astronauten der ISS von der der Erde. Sie ist ohne größere Schäden und Verluste zu Ende gegangen. Die Zusammenfassung jeden Tag war ein kleines Highlight und spannend bis zum Schluß.