April 2020
Wenn ich einen Blick zurückwerfe, wurde ich im Januar schon etwas nervös durch die Berichterstattungen in den Zeitungen über den neuartigen Coronavirus in Asien. Hatte zu dem Zeitpunkt nur befürchtet, daß das "Laudate Dominum" in St. Pölten möglicherweise abgesagt werden könnte. Hatte ja keine Ahnung was noch so alles auf uns zukommen wird.
Erste persönliche Maßnahmen getroffen. Desinfektionsmittel habe ich eh immer dabei. Vor und nach dem Unterricht an der Jazzschool verwendet. Der Pianodozent war noch ruhig, der klassische schon alarmiert. Er hat kleine Kinder und da ist man aufmerksamer was solche Entwicklungen anbetrifft.
Zu allererst die beste Nachricht: mein guter, alter Freund ist wieder gesund! Er befindet sich nach 7 Wochen in den Kliniken nun in der Reha.
Empfehlung vom RKI einen Mundschutz zu tragen. Tja!
Nervöse Hamsterkäufe. Das Thema Toilettenpapier wird als Treppenwitz des Jahres 2020 in die Geschichte eingehen. Wobei wir hier in Germering wahrscheinlich nicht ganz so verrückt gespielt haben. In der Zeitung standen Berichte, da konnte man nur noch den Kopf schütteln.
Vorsichtige Hinweise das alle Schuleinrichtungen und Kindergärten schließen werden. Es kam die Ankündigung von der Neuen Jazzschool das auch der Unterricht an Musikschulen ausfallen könnte.
Im Clavioforum melden sich immer mehr besorgte Klavierlehrer mit Fragen, Befürchtungen und Hinweisen zu diesem Thema.
Homeoffice wo es möglich ist. Alle Geschäfte sind bis auf wenige zu.
Meine Patienten müssen beruhigt und informiert werden. Manche werden jetzt nur noch von ihren Angehörigen versorgt, weil niemand von außerhalb Kontakt zu ihnen haben soll. Sie fallen aus dem Dienstplan raus.
Die Neue Jazzschool vermeldet nun auch die komplette Einstellung des Unterrichts. Mein Klavierlehrer kommt nicht mehr ins Haus, auch ich muß vor einer möglichen Ansteckung verschont bleiben. Ich arbeite systemrelevant mit sehr alten Menschen.
Gut das das Wetter in dieser seltsamen Zeit so schön ist; ich sehe unglaublich viele Väter mit ihren kleinen Kindern spazieren gehen oder eine Radltour unternehmen.
In all meinen Chören gibt es keine Proben mehr. Die Johannespassion von Bach, die Johannespassion von Schütz, die Mariazeller Messe von Haydn zu Ostern, auch die Proben für das kommende englische Konzert, die Carmina Burana, der Messiah im Sommer, das Bahmsrequiem im Herbst; alles alles alles wurde abgesagt.
Es erfolgt die Pflicht Mundschutz bei den Patienten zu tragen und idealerweise 1½ Meter Sicherheitsabstand zu ihnen halten. Beides ist sehr lustig. Unsere Pflegeeinrichtung hat, wie alle anderen auch, kaum Mundschutz vorrätig und wie soll ich den Abstand wahren, wenn ein gebrechlicher Körper von mir versorgt werden muß.
Skateboards! Wer kann das Wort noch buchstabieren? Man wundert sich über ein seltsames Geräusch im Rücken, blickt verunsichert in den Himmel ob es vielleicht von dort her kommt, und schon rollt ein junger oder älterer Mann auf seinem Brett an einem vorbei.
In den USA hat die Regierung nun auch erkannt, das der Virus doch gefährlicher ist als zuvor angenommen. Ich mache mir Sorgen um meinen dort lebenden Bruder.
Ostern habe ich zum ersten Mal seit 2007 an keinem Gottesdienst teilgenommen. In meinen Chören werden die sozialen Kontakte munter über die Messengerdienste weitergepflegt. Einmal ein paar Tage nicht reingeschaut, da waren über 400 Nachrichten aufgelaufen!!!
Es gibt viele talentierte Näherinnen, die unsere Pflegeeinrichtung mit selbstgenähten Mundschutz beschenkt haben. Darüber waren wir sehr dankbar und es sind wunderschöne dabei.
Beide Klavierlehrer würden via Skype, Zoom oder auf einer ähnlichen Plattform Unterricht mit mir abhalten. Nicht zum ersten Mal bedauere ich, das ich keinen Internetanschluss in meiner ansonsten wirklich sehr schönen Wohnung eingerichtet habe.
So wie sich der Virus aktuell vervielfacht, so erhöht sich der Anblick von Dauerläufern. Zu allen Tageszeiten sehe ich Jogger durch die Straßen in Richtung See laufen. Vielleicht sollte ich auch wieder mit dem Laufen anfangen?
Ich bemerke etwas übefaul am Klavier zu werden. Der fehlende Kontakt zu den Klavierlehrern lähmt mich. Vielleicht ist es aber auch das lästige immer-wieder-einspringen-müssen in meiner Arbeit, das mir die Energie zum Spielen raubt.
Dafür koche ich nun viel. Mittags und oft auch noch mal abends. Das bedeutet ebenso, ich kaufe angstfrei in den Geschäften ein. Sehr interessant zu sehen was in diesen Zeiten alles gekauft und gehortet wird.
Auf der anderen Seite habe ich nun viel Freizeit gewonnen. Alle meine Aktivitäten kosten mich, ganz grob überschlagen plus Fahrtzeiten, ca 13 bis 14 Stunden in der Woche. Aber mir fehlen die Mitsänger, meine Chorleiter, der Input der Klavierlehrer. Meine Wirbelsäule würde sich gerne wieder verbiegen. Alleine mache ich halt doch kein Yoga.
Indessen gibt es in China erste Anzeichen das dort Normalität einkehrt.
Meine Mutter besuche ich trotzdem regelmäßig in Schwabing. Sie findet alle Maßnahmen übertrieben. Keinesfalls würde sie auf ihren täglichen Einkauf verzichten wollen. Im Prinzip kann ich das verstehen. Ich würde mich eingesperrt in einer Wohnung wahrscheinlich auch zu Tode langweilen. Sie sagt, es ist ihr in ihrem Alter wurscht ob sie an Corona erkrankt und daran sterben könnte.
Die Patienten werden von mir weiterhin optimistisch mit Hinweisen auf die positiven Entwicklungen in Asien beruhigt.
Das Ansehen der Pflegekräfte ist momentan in der Wahrnehmung der Bevölkerung etwas gestiegen. Habe vor kurzen nicht verkehrsgerecht vor einer Gartenausfahrt geparkt. Ein Mann wollte mich offensichtlich maßregeln, hat vielleicht wegen Arbeitskleidung und Mundschutz dann noch rechtzeitig seinen Ärger über mein Fehlverhalten unterdrücken können.
Von der Jazzschool Appelle an die Berufsschüler und Schüler des offenen Unterrichts: Durchhalten und solidarisch bleiben. Schluck. Das könnte finanziell schmerzhaft werden. Bin ja „systemrelevant“, das ist inzwischen gleichbedeutend mit „Du armes Ding, wirst eh nicht gut für deine Arbeit bezahlt“.
Interessant was für Ängste manche Menschen in dieser Situation entwickeln. Sie sind geradezu panisch. Im Internet werden viele Male am Tag Zahlen und Werte gecheckt. Fühlen sie sich damit gegen die Gefahr gewappnet? Die Ausweichmanöver auf dem Trottoir gehen gerade noch als nicht artistisch durch. Elegantes Zurückweichen und verschämtes Kopfabwenden. Sie sitzen auf dem Fahrrad oder alleine im Auto und tragen dabei Mundschutz!
Ich vermisse meine Mitsänger aus den Chören und das Singen. Bin einfach sehr gerne unter Menschen und fühle mich in Gemeinschaft immer wohl und geborgen. Das fehlt mir.
Wow! Wie viele Menschen müssen in ihren Kellerabteilen Inlineskates aufbewahrt haben. Die letzten 20 Jahre nicht so viele wie in den letzten fünf Wochen gesehen. Oder sind die klammheimlich wieder in Mode gekommen und ich habe das nur noch nicht bemerkt?
Die Chor- und Orchesterwoche in Hinterschmiding wurde nun aus Sicherheitsgründen und mit großem Bedauern abgesagt. Es hängt bei der Vorbereitung von dieser immer viel Herzblut und Engagement daran. Bin sehr gespannt ob die ICAK heuer im Juli stattfinden kann.
Die Haut an meinen Händen wird zunehmend rauher und strapazierter. Vor und nach jedem Patienten mit 8 ml Desinfektionsmittel einreiben, nach allen Regeln der Kunst, dann beim Heimkommen noch mit Seife die Hände gewaschen. Die Handcreme wird geradezu aufgeschlürft.
Das monatliche Datenvolumen von meinem Telefon ist bei Instagram fast komplett drauf gegangen. Habe wie blöde kleine Videos und hübsche Bilder angesehen und auch selbst etwas gepostet. Leute abonniert oder mich abonnieren lassen. Habe mich sogar getraut ein kleines Video von mir und meinem "Morgenlicht" zu veröffentlichen. Witzig: ein 12 jähriger Engländer, eine 15 jährige Australierin und eine 16 jährige US-Amerikanerin haben mich "adoptiert" und mir Tips und Hinweise gegeben. So süß! Der Junge hat nun ein paar Tage Internetverbot. Hat wohl etwas übertrieben mit seinen „Collabs“.
Es gibt erste Mitbürger die sich erregen, die Verschwörungstheorien äußern, sich in ihren Grundrechten eingeschränkt fühlen. Sie suchen und fordern einfache Lösungen. Es gibt Streitgespräche mit Leuten, die man bisher als eigentlich ganz vernünftig wahrgenommen hat. Das strapaziert die eigene Geduld sehr. Ich bin jeden Tag draußen und füge mich ohne Protest an die Anweisungen. "Ja. Du bist halt auch ein Schaf!"
Dafür übe ich inzwischen doch wieder mehr am Klavier. Die ersten vier Lieder aus Burgmüllers Opus 100 kann ich schon recht gut und meist auch auswendig. Das vierte, "die Kindergesellschaft", habe ich mir selbst erarbeitet. Man kann es gut erkennen. Ich kontrolliere es über mein Piano, da sind alle Burgmüller Etüden als Audiofile eingespeichert. Allerdings in einem Höllentempo gespielt. Beim „armen Waisenkind“ von Schumann holpere und stolpere ich mich Takt für Takt vor und hoffe das mein klassischer Klavierlehrer dann in Ohnmacht fällt, wenn er hört was ich mir alles alleine erabeitet habe.
Die „kleine Gasse“ von Bartok ist aber doch schwerer als gedacht, da komme ich ohne Hilfe über einen gewissen Punkt nicht weiter.
Ich beschließe die Meinung der Empörten und Verschwörungstheoretiker auszuhalten. Man kann kaum mit ihnen diskutieren, sie lernen die Zahlen und Fakten auswendig, die ihnen und in ihr Weltbild passen. Darin sind sie nicht zu schlagen und sie lassen die vagen "Aber ich habe gehört, gelesen, gesagt bekommen, das ...... !" nicht gelten. Jedes Argument wird mit einem Gegenargument pariert. Diese holen sie sich in speziellen Foren und zimmern sie sich für sich passend zurecht.
Es schälen sich Erweckungsgeschichten heraus. Das Bauchgefühl, daß etwas mit den Zahlen und den Maßnahmen verkehrt ist, führt in die Welt des eigenständigen "kritischen" Denkens. Das Lesen einer Nicht-mainstream-Zeitung führt zu Aha-Erlebnissen. Querdenker finden passende Informationen die an Gleichgesinnte weitergeleitet werden. Man merkt sie haben große Angst in dieser Zeit. Sie fordern Klarheit und Eindeutigkeit, die beide gerade nirgendwo auf der ganzen weiten Welt zu bekommen sind. Weshalb glauben das ausgerechnet sie in ihrem verschwurbelten Weltbild die einzige richtige Lösung für das weltweite Dilemma haben? Sie sehen die Demokratie wanken. Dabei wollen sie Recht behalten.
Warum nur sehe ich das nicht genauso? Und wo ich doch sonst in vielerlei Hinsicht so ängstlich bin, warum entwickele ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Furcht? Ich habe viel zu viel Vertrauen und Zuversicht in unser Land, ebenso in die Politiker und eigentlich auch in die Vernunft der Menschen im allgemeinen.
Aber möglicherweise bin ich ja auch nur ein dummes kleines Schaf. Und wer ja sagt zu den Maßnahmen, ohne kritisch zu hinterfragen, ist dumm. Habe einen interessanten Artikel dazu in der FAS gelesen und mich darin erkannt. In der praktischen Vernunft ist der Optimist immer der Dumme.
"Seit den "Meistern des Argwohns", seit Feuerbach, Marx, Nietsche und Freud, profiliert sich der Intellektuelle durch Nachfragen, kennt die Hintergedanken, die wahren Motive. Unterstellt aber Leuten, die etwas mehr Ahnung als der gewöhnliche Normalbürger hat, Inkompetenz, Kalkül oder unmoralischen Handeln."
Ich betrachte kompetente Leute nicht als Hellseher, nur wird von ihnen jetzt erwartet das sie irgendwie die Lage peilen. Aber woher sollen sie wissen was noch werden wird. Wir hatten noch nie eine solche verworrene und globale Situation. Oder was passiert wäre, wenn andere Entscheidungen getroffen worden wäre. Die modernen Wissenschaften sind durch kleinteilige Ausdifferenzierungen geprägt. Und das betrifft eben auch Virologen, Infektologen, Mediziner und Epidemologen. Wir müssen und mußten Experten vertrauen, die es besser wissen als wir. Aber irgendwie reagieren mußte man, das war doch jedem klar. Auch im Ausland wurde reagiert, in dem einen so, in einem anderen so. In dem einen ist die Maßnahme gut gelaufen, im anderen aber jene weniger.
Ich fand, wir wurden bisher gut geleitet, in anderen Ländern ist vieles beschwerlicher für den Bürger gehandhabt worden. Die meisten hier kamen doch mit den Einschränkungen klar.
Ich bange nicht um unsere Demokratie, habe mich in keinen Moment in meinen Grundrechten eingeschränkt gefühlt und mag diesen Satz sowieso für den ganzen Rest meines Lebens nicht mehr hören.
Nur meine kleine unbedeutende Meinung, die eigentlich überhaupt nichts in dem Blog eines Klavieranfängers zu suchen hat. Also zurück zum Thema:
Die kleine selber geschriebene Skizze vom Jazzpianodozenten habe ich spieltechnisch einigermaßen drauf, rhythmisch stimmts wahrscheinlich hinten und vorne nicht. Wie immer halt! Aber es gefällt mir sehr gut. Die Töne überschreiten gerade so die Schwelle zur Stille. Er sagte dazu: Ist ein bisserl kitschig geworden. Das klang fast wie eine völlig überflüssige Entschuldigung. Für mich ist es ein kleines Stück musikalische Poesie.
Zu meinem großen Schreck kann ich plötzlich Autumn Leaves nicht mehr spielen. Ein paar Tage habe ich mich mehr mit den anderen Stücken beschäftigt und nun fange ich bei diesem an mich ständig wieder zu verspielen. Puh, ich hoffe dieser Vorgang ist umkehrbar.
Die Schuleinrichtungen bleiben weiterhin geschlossen, die armen Kinder. Was passiert nur mit denen so alleine Zuhause? Und die bedauernswerten dazugehörigen Eltern. Baumärkte und Gartencenter werden aber geöffnet. Krass! Dafür ist die Olympiade in Japan und die Wiesn hier in München abgesagt worden.
Das mit der Wiesn ist ewig schad. Gibts heuer kein Hendl für mich mit einer schönen Maß Bier und einer reschen Brezn dazu. Da freu ich mich eigentlich immer das ganze Jahr drauf.