Februar 2020
Habe ich in diesem Blog schon mal die Vermutung angestellt, das mein Pianodozent auf eine eher sanfte und unauffällige Art und Weise doch recht hartnäckig sein kann? Bin mir nicht so sicher.
Sicher ist es auf jeden Fall, das ich ein Notenblatt überreicht bekommen habe, auf dem schlicht Improvisation steht und zwei Takte mit je zwei Akkorden im Bassschlüssel: F, C, G-moll, D-moll und dann das gleiche nochmal. (Ein tolles Wort dieser Bassschlüssel: dreimal hintereinander ein „s“, insgesamt fünf "s")
Beim Entschlüsseln der Akkorde wiedermal festgestellt, das ich immer noch nicht Notenfest bin. Die Noten die aus dem System herausfallen, kann ich erst nach längerem Nachdenken zuordnen. Ich suche mir nun eine Ankernote unterhalb und oberhalb des Systems aus und versuche sie mir zu merken. Wenn sie sicher abrufbar ist, dann die nächste.
Wenn das Thema Improvisation auf dem Stundenplan steht verspüre ich als allererstes einen Fluchtreflex. Aber ich lese mich weiter durch das Buch von Kenny Werner und erhoffe mir, das mit den Erkenntnissen daraus ab jetzt alles anders wird. Versuche an meiner Persönlichkeitsstruktur zu arbeiten und aufzuhören sofort die Flinte ins Korn werfen zu wollen. Nicht immer gleich „Nein das kann ich nicht“ zu rufen und mir ruhig Fehler-machen zugestehen.
Also habe ich tapfer gelächelt als er mir das Blatt unter die Nase legte und auf der Stelle alle Reflexe unterdrückt.
Glücklicherweise habe ich diesmal die Akkorde und den Wechsel leichter hinbekommen als das dazugehörige absichtslose Herumspazieren auf den Tasten im Diskant.
Deshalb soll ich den Bass mit links spielen und der Dozent improvisiert rechts munter vor sich hin. Das kann er sehr sehr gut. Von oben bis unten, abwechslungsreich, mit Hüpfern und mit Trällern. Unglaublich hübsch hört sich das an. Ich bemühe mich währenddessen einen stabilen Grundrhythmus zu halten.
Als das gut läuft, wechseln wir die Plätze. Nun darf ich die Melodie spielen.
Es ist, das muß ich einfach so schreiben, ein wahres Wunder geschehen. Das Ganze hat funktioniert. Meine Fingern konnten etwas mit den Tasten machen und es war gar nicht schlimm. Mehr noch, es wurde, je länger wir das durchgezogen haben, immer besser. Und hörte sich manchmal sogar ein bisschen gut an.
Dozent spielt den Rhythmus und ich versuche ihm zu folgen. Er verlangsamt die Geschwindigkeit und ich bremse mit ab. Er wird schneller und ich eile hinterher. Er verändert die Stimmung und ich kann reagieren. Meine Finger spielen etwas, eher versehentliches eigentlich, und es erfolgt eine Antwort im Bass. Dann fällt ihm was neues ein und ich habe das Gefühl, ich kann darauf eingehen.
Oh, das war ein sehr schöner Moment! Und ich war ganz überwältigt danach.
Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Ahnung davon bekommen, wie es sich, vermutlich, anfühlt wenn zwei Musiker miteinander musizieren. Die aufeinander zugehen, sich begegnen, sich treffen um miteinander zu spielen. Die sich musikalische Bälle zuwerfen, auffangen und mit einer Volte hin- und einer Variation wieder zurückwerfen. Das war großartig.
Dann war die Stunde zu Ende. Es gab bedauerlicherweise keine Rückmeldung, ob es auch für die linke Hand an meiner Seite ausnahmsweise mal gut war. Ich bin mir sicher, das wir beide noch keinen solchen Moment teilen konnten. Ein Zuspruch in dieser Richtung wäre in der Tat sehr schön für mich gewesen.
In der darauffolgenden Woche, bin ich (ich hatte vier Tage hintereinander frei) am Tag mehrere Male vorm Klavier gesessen. Versuchte Melodien zu finden die zu den vier Akkorden passen. Mit der Zeit habe ich Töne gesammelt die die Akkorde gut begleiten können. Ich glaub zwar das es eher anders sein sollte, das die Akkorde die Melodie begleiten sollen. Wie auch immer. Ein paar Töne gibt es, die nie passen. Diese Sorte von Noten haben sogar einen Namen. Sie heißen „Avoid Notes“.
Ich habe zu den einzelnen andere Rhythmen gefunden, aus den Akkorden gebrochene gemacht, halbe oder mehr Töne zu einem untergebracht.
Ich gebe zu, daß das Ganze viel Spaß gemacht hat. Die Akkordwechsel sind nun den Fingern und auch meinem Ohr vertraut.
Habe weiter an „Autumn Leaves“ geübt. Die Noten habe ich für meine Verhältnisse recht gut drauf. Aber vom richtigen Rhythmus wage ich noch längst nicht zu sprechen. Wie immer halt. Und beim „Blue in Green“ von Miles Davis finden meine Finger die Akkorde links isoliert immer besser. Der Wechsel plus Pedaleinsatz und die einzelnen Noten rechts, hmh, da wird’s schon schwieriger. Das Pedal soll die Klanglücken ausfüllen. Ich höre wie wichtig das bei diesem Stück ist. Konzentriere ich mich auf den Akkordwechsel, vergesse ich aber das Pedal zu lösen und erneut wieder runterzudrücken.
Die wenigen Takte sind nur der Auftakt für das Stück. Danach geht’s Miles-Davisartig weiter. Das Intro gefällt mir recht gut. Ein wenig wehmütig, man fühlt sich verlassen. Ein Glas Whisky in der einen und eine Zigarette in der anderen Hand würden gut dazu passen. Ach ja, übrigens den Film „Birth of Cool“ im Kino angesehen. Danke liebe Sieglinde für deine Bereitschaft quer übers Land zu fahren um mit mir die Doku anzusehen.
Meine Improvisationsversuche habe ich dem klassischen Klavierpädagoge vorgespielt. Wollte hören was er dazu meint. Er sagt: „ Hört sich ein bisschen an wie Mozart“. Hah. Habe ich mir doch gedacht. Mozart ist was für Anfänger. Kann jeder komponieren. Sogar ich.