September 2019
Die erste Frage die mir mein Pianodozent in der Unterrichtsstunde gestellt hatte, war: "Und? Hattest du Zeit gehabt dich ans Klavier zu setzen? Hast du geübt?"
Ich konnte mein Glück kaum fassen. Diese Frage hat mir endlich die passende Gelegenheit geliefert (mit einem Jahr Verzögerung!) zu gestehen, dass er und ich nun Hilfe und Unterstützung von einem richtigen Klavierpädagogen bekommen.
Seine Überraschung darüber hat er gekonnt verbergen können, blieb gleichmütig und hat deswegen auch nicht nach weiteren Details nachgefragt. Die wenigen Informationen wie Pianist, Klassik, Romantik, Schwiegersohn einer Chorkollegin und wenig Interesse an Jazz haben ihm gereicht.
Ich bin trotzdem sehr erleichtert ihm diese Entwicklung mitteilen zu können. Es war schon irgendwie ungut nicht darüber geredet zu haben. Auch wenn man ehrlicherweise sowieso nichts von dieser zusätzlichen Einflussnahme bemerken konnte.
Im Überschwang dieser Erleichterung war ich im Geständnismodus. Habe meiner Mutter mitgeteilt das ich mit dem Klavierspielenerlernen angefangen habe. Klar fand sie dieses Vorhaben unnötig. Ihre Frage, "Warum denn ausgerechnet jetzt dieser Blödsinn?", habe ich folgendermaßen beantwortet: „Weil ich es machen möchte. Und weil ich es machen kann !“
In der nächsten Woche habe ich ihr dann erzählt, dass ich nicht nur klassischen Unterricht nehme, sondern auch auch Stunden an einer Jazzschule habe. Das fand sie noch viel überflüssiger. Sie meinte ich solle mich besser um Haushalt, Kinder, Garten und um den armen verlassenen Ehemann kümmern. Zur Erinnerung: wir befinden uns im Jahre 2019. Darauf folgte eine mehr oder weniger hitzige Grundsatzdiskussion über das was von Frauen heutzutage erwartet wird. Was ihre Pflichten wären, welche Freiheiten sie sich nehmen dürfen, usw.
Wir waren nicht immer einer Meinung! Zum besseren Verständnis dieses Konfliktes: meine Mutter ist trotz ihres hohen Alters eine eigenbestimmte Person, war ihr ganzes Leben selbstständig und kann sich sehr gut organisieren. Sie würde mich gerne in einer Hausfrauen- und Heimchenrolle sehen. Mit dieser Diskrepanz von dem vorgelebten Bild als Mutter, als Geschäftsfrau und ihrem konträren idealisierten Frauenbild für mich, komme ich schlecht zurecht.
In der darauffolgenden Woche habe ich ihr diesen Blog gezeigt. „Hallo Mami. Sei herzlich Willkommen hier beim Lesen meiner Beiträge.“ „Kind. Weshalb macht man denn nur so was?“ Der Versuch einer Erklärung. „Es gibt Menschen die erfüllen sich einen Lebenstraum wenn sie es schaffen den Mount Everest zu besteigen oder die Kalahari Wüste zu durchqueren. Sie beschreiben in einem Buch die Umstände und wie es ihnen dabei ergangen ist. Die Bücher siehst du dann in Buchhandlungen ausliegen, kannst sie kaufen und möglicherweise regen diese wiederum andere Menschen an, sich ebenso einen ungewöhnlichen Herzenswunsch zu erfüllen.“
Ich mach dies im ganz ganz Kleinen auf meinem Blog. Immer im Bewusstsein, das das Klavierspielen hundertmal weniger cool ist als hohe Berge zu erklimmen, Länder mit dem Fahrrad bereisen, einen Marathon zu bewältigen und ... oder ... .
Ja, Mami, es ist geradezu so, als wenn ich einen neuen Lebensabschnitt vor eineinhalb Jahren damit beschritten hätte. Und in einer gewissen Weise glücklich bin, das ich den Mut dazu finden konnte. Auch wenn es mir sehr schwer fällt. Und wenn ich darüber reden kann. Und weiter, um mein nicht-musikalisches Umfeld zu schonen, in diesem Blog meine Befindlichkeiten, Schwierigkeiten, Veränderungen oder sonstigen Erlebnisse darlegen kann. Eine großartige neue Tätigkeit in meinem Leben.
Diese Entwicklung wurden nur dank der kleinen und unschuldigen Frage „Und? Hast du geübt?“ ausgelöst. Himmel, was bin ich erleichtert das dieser Informationsaustauch endlich stattgefunden hat.