Juni 2019
Mein Klavierpädagoge muss wirklich stark ausgebremst werden. Er ist so furchtlos und engagiert. Es stehen schon wieder zwei neue Projekte in den Startlöchern. Als erstes bekomme ich eine Fingerübung von Brahms präsentiert. Aus dem Opus Nr. 51. Sie gleicht einer Übung aus dem Klaviervirtuosen von Hanon. Der ja im Clavioforum eher geächtet und als vollkommen überflüssig angesehen wird.
So ganz kann ich das nicht nachvollziehen. Anfänger wie ich sind dankbar wenn sie die Finger, ohne groß nachdenken zu müssen, auf den Tasten orientieren können. Bei der Brahmsübung sollen die kleinen Finger und Ringfinger beweglicher und sicherer werden. Das Opus 51 soll ich mir nicht kaufen, weil die Übungen für mich noch zu schwer sind.
Als nächstes einen vierhändigen Haydn. Denn wollte er schon immer mal mit einem Schüler spielen. Ich habe hinein geblättert und ihm mitgeteilt, daß er mir das Heft in drei bis vier Jahren wieder vorlegen soll. Vorher gäbe bestimmt einen anderen Schüler der das mit ihm schon stemmen kann. NEIN, hat er bestimmt gesagt, in ein-, eineinhalb Jahren wäre ich soweit. Dieser Optimist!
Er läd mich gelegentlich ein in seinem Elternhaus eine Unterrichtseinheit zu nehmen. An dem schönen und mächtigen Flügel. Er möchte das ich die Scheu vor einem akustischen Klavier verliere und mich zudem daran gewöhne in einer fremden Umgebung zu spielen. Das klappt nicht sehr gut, mein Unbehagen lässt sich nicht so leicht abstellen.
Im Musikzimmer seiner Eltern steht zudem noch ein weiteres Klavier. Da können wir dann die vierhändigen Stücke von Diabelli an zwei Tasteninstrumenten spielen.
Wenn wir üben, singt er häufig die Töne mit. Das nennt sich Solfège. Er mochte das Fach in der Uni überhaupt nicht. Aber nun ist es ihm so in Fleisch und Blut übergegangen das er dies automatisch macht. Und es ist in der Tat hilfreich für mich. Ich versuche es gelegentlich beim Üben auch, aber ich bin nicht sehr tonsicher. Außerdem hat es einen ähnlichen Effekt wie Rhythmus mit dem Fuß auf den Boden tappen; es lenkt mich ab.
Er mag Bach nicht sehr gerne, das erwähnt er immer wieder mal. Er ist etwas verständnislos jenen gegenüber die ihn lieben. Kopfschüttel: Glen Gould, der Schräge. Stirnrunzel: Martin Stadtfeld, der Kühle. Schulterzucken: Murray Perahia, spielt der nicht viel besser Brahms?, usw.
Ein sehr lieber Mensch schrieb mir: "Bach nicht so mögen" ist eine Wortfolge die nicht gedacht, geschweige denn gesagt, keinesfalls geschrieben oder gar geglaubt werden darf. Danke U. für deine klugen Worte, die ich mir frech für diesen Blog ausgeliehen habe.
Ich habe mir deshalb vorgenommen ihn nicht um Literatur von Bach zu bitten. Ich spüre, das ihn diese Musik nicht sehr bewegt, deshalb wird er sie mir nicht mit dem gleichen Enthusiasmus vermitteln können, wie beispielsweise den Clementi, auf dessen dritter Seite ich nun angelangt bin. Oder sein großes Idol Beethoven. Oder Mozart, Chopin, Liszt. Zweitens, und das hauptsächlich, habe ich Angst das ich, wenn ich die Musik nicht richtig spielen kann, und sie nicht klingt, wie ich es mir vorstelle, (was im übrigen sehr wahrscheinlich sein wird) daran verzweifle und aufgeben werde. Vielleicht lerne ich Bach hassen und das darf keinesfalls passieren.
Natürlich würde ich sehr gerne eines Tages die Toccata oder ein Präludium spielen können. Aber erst wenn ich mich sicherer und selbstbewusster fühle. Das Notenbüchlein der Magdalena Bach habe ich vorsichtshalber schon mal gekauft. Wäre also für den Fall der Fälle gewappnet. Aber das kann gerne noch eine Weile warten.
Trotz seinem lebhaften Naturell ist er geduldig. Das beruhigt mich und hilft mir ungemein. Er weiß wie schwer es für einen Erwachsenen in meinem Alter ist, ein Instrument spielen zu erlernen. Seine Abschlussarbeit an der Uni hatte das Thema „Neurodidaktik beim Klavierspiel" für Erwachsene durch Erlernen eines Instrumentes. Mit den Erkenntnissen aus dieser Arbeit kann er mir bei Problemen gut unter die Arme greifen.
Ich stolpere und stocke bei manchen Phrasen. Das hört er sich kurz an, findet zwei, drei Möglichkeiten das Problem links und rechts, von der Seite oder von Rückwärts anzugehen, meist geht es damit etwa leichter. Nicht immer klappt es auf Anhieb. Bei dem Triller in der Sonatine von Clementi stell ich mich grad wirklich wieder ganz schön an. Da fällt selbst ihm aktuell nichts hilfreiches dazu ein.
Aber: ist gar nicht schlimm. Dann halt kein Triller sondern nur die zwei Töne. Und weiter geht’s mit Elan.
Wichtig ist ihm immer der musikalische Ausdruck. Das fordert er mit viel Temperament ein. Schneller! Lauter! Leiser! Meist bin ich aber so mit den richtigen Noten beschäftigt, das mir die Dynamiken ziemlich wurscht sind.
Er wiederum sagt: Richtigen Noten? Vorerst egal. Emphase bitte. Aber dalli!