April 2019
Dieser beharrliche Jazzdozent! Wahrscheinlich hat er ein Gedächtnis wie ein Elefant. Denn es ist ihm wieder in Erinnerung gekommen, daß er vor längerer Zeit versuchte mir Akkorde plus die dazugehörigen Umkehrungen beizubringen. Schon aufgeben wollte. Auf Grund meiner Unerfahrenheit, meines Unvermögen mir solche Sachen zu merken, meiner Unbelehrbarkeit, meines Untalents, der Unbelastbarkeit meines dünnen Nervenkostüms, meiner Ungeduld. (Jetzt fällt mir nichts mehr ein, was ich mit Un- vorausstellen könnte).
In „Scarborough Fair“ soll ich weiterhin mit links Grundton, Quinte und Quarte des jeweiligen Grundton spielen. Dafür rechts der zum Grundton passende Akkord und der dazu folgende nächste Akkord in einer der Umkehrungen der dem ersten am nächsten oder bequemsten liegt. Also dieses Verschmelzen der Akkorde mit allen Umkehrungen. (Kapier ich denn selber was ich da schreibe???)
Das hört sich erstmal gut an. Ich kann die vier Akkorde (Dm, C, F, Gm) mit ihren Umkehrungen schon fast auswendig. Wenn ich da dranbleiben kann, wird mir das eines Tages in Fleisch und Blut übergehen. Manchmal wissen meine Finger wie sie richtig greifen müssen. Wenn ich aber drüber nachdenke, versemmle ich es.
Er hat mich ganz geschickt dazu gebracht. Kein Nervenzusammenbruch war notwendig. Zuerst nur die Grundtöne, dann Grundtöne und Terzen, dann Grundtöne, Terzen und Quinten. Und das abwechselnd in unterschiedlichen Lagen, auch sollen sich die Hände überkreuzen um beide Gehirnhälften zu aktivieren. Das ist sicherlich eine gute Idee und notwendig, weil ich eh so langsam bin. Und ist quasi eine Improvisation. Damit ich erstmal nicht vom Wort „Akkord“ verschreckt werde, lenkt er mich ab, in dem er Wert auf den richtigen ¾ Takt legt. Dieser Fuchs! Und irgendwann ging es bedeutend leichter und ich mußte meine Nerven nicht wegwerfen.
Zuhause habe ich nochmal versucht nachzuvollziehen was er mir in der Stunde angeschafft hatte. Er hat in dieser sogar fast schmunzeln müssen als er autoritär festgestellt hat: „Du tust nun genau das, was ich dir sage“. Wieder daheim habe ich das dann doch nicht mehr geschafft. Zumal ich durch die weiteren musikalischen Einflüsse aus meinem Dienstagschor abgelenkt werde und dann abends gegen 22:30 Uhr nach meiner Heimkehr oft schon gar nicht mehr so genau weiß, was wir nachmittags durchgearbeitet haben.
Ich muß halt immer nachdenken, aus meinen Händen fließt leider nichts von alleine, der Unterricht ist sehr kopflastig. Ich bin ja gespannt ob sich das eines Tages mal ändern wird. Vielleicht, wenn ich mehr weiß und die Zusammenhänge klarer werden.
Im klassischen Unterricht sollte natürlich auch klar sein welcher Ton als nächstes kommt, wo ist die Eins nach der Triole. Aber ich muß hier nicht so vorausplanen. Der Unterricht ist weniger anstrengend. Geradezu entspannend. Was leider nicht bedeutet das ich fehlerfrei spielen kann.
Von dieser Vorstellung habe ich mich seit geraumer Zeit sowieso verabschiedet!
Neulich hatte ich in meinem DienstagsChor ein Gespräch mit einer Altistin. Sie erzählte mir das ihr Mann auch Diplom Klavierlehrer sei. Er nimmt seit kurzem Unterricht bei einer Jazzklavierlehrerin. Sie ist Russin und hat in ihrer Ausbildung zur Jazzklavierlehrerin die ersten vier Semester hauptsächlich Theorie studieren müssen bevor sie sich der Praxis zuwenden durfte. Das könnte erklären warum ich bisher so wenig greifbares spiele. Weil erstmal ganz grundsätzliche Vorraussetzungen geschaffen werden müssen, um dann tiefer in die Thematik einsteigen zu können.
Und das zusätzlich zu dem mangelnden Talent das ich leider mitbringe und mit dem sich nun meine beiden Lehrer beschäftigen müssen.
Ich stelle mir vor wie das vor einem Jahr bei meinem Erstkontakt abgelaufen sein mag. Die Sektretärin der Jazzschule wird meine Anfrage um Klavierunterricht an die Schülerschaft weitergeleitet haben. Mit der Info: 54-jährige Frau, noch nie im Leben ein Instrument gespielt und deshalb auch keine Notenkenntnisse vorhanden.
(Inzwischen kann ich mir ihr damaliges Erschrecken sehr viel besser erklären. Ihr war sicher in derselbigen Sekunde klar, wie schwierig das mit mir für alle Beteiligten werden wird.)
Nach der Anfrage wurde wahrscheinlich von den gesamten Schülerschar hektisch die Rucksäcke nach Eßbaren untersucht, die Fingernägel inspiziert oder dringend ein Toilettengang vorgetäuscht. Nur einer hat so vor sich hingeträumt und ist deshalb mit seiner sehr aufrechten Haltung aus dem zusammengesunkenen Schülerhaufen herausgeragt. „Fein, lieber Junge, schön das du das übernimmst“. Er hatte ja keine Ahnung auf was er sich da einlassen wird. Und er war auch zu wohlerzogen um mir mein Vorhaben auszureden. „Gute Frau, das könnte ziemlich schwierig werden mit Ihrem Plan. Nehmen Sie lieber erstmal klassischen Klavier Unterricht“. Hat er sich vielleicht gedacht, aber höflicherweise in seiner stillen Art nicht gesagt.
Mein klassischer Klavierpädagoge besitzt, au contraire, sehr viel motivierende Lebendigkeit. Er fegt über meine Unsicherheiten und Zweifel heiter hinweg. Lobt überschwenglich an den wichtigen Stellen, und lenkt mich an gefährlichen, (wenn ich grad dabei bin meine Nerven zu verlieren), mit Nebensächlichkeiten ab.
So gerate ich bei ihm nicht in diesen unersättlichen schwarzen Strudel, wie der welchen Charybdis die Gefräßige, Tochter der Gaia und des Poseidon fabriziert. Und dabei meine eigenen Untiefen durch den Schlund auf den Grund und vorbei an den Schrecken der Tiefe auf diesem Weg erfahren muß.
Wir befinden uns in dem Blog einer Anfängerin des Klavierspielens. Nicht in Schillers Ballade vom Taucher. Nebenbei gesagt eines der schockierendsten Werke das ich jemals gelesen habe. Da ist „der Sturm“ von Shakespeare eine ausgesprochen leichte Komödie dagegen.
Zurück zum Klavierunterricht und weg von der Literatur.
Der zweite Teil, die Romanze von Diabellis vierhändigen Jugendfreuden, wird in A-dur gespielt. Das ist für mich eine neue Erfahrung, weil die bisherigen vierhändigen Stücke immer mit C begonnen haben. Nun kann ich meinen Fingern nicht mehr so recht trauen, sondern muß häufig einen schnellen Blick vom Notenblatt auf die Finger riskieren um zu sehen ob sie richtig platziert sind.
Somit ist es auch in einer neuen Tonart und es hört sich etwas melancholischer an. Und ist deshalb für mein Ohr auch interessanter.
Wenn ich mehr Zeit hätte würde ich gerne eine weitere Seite selbständig in Angriff nehmen. Ein wenig voraus üben, um in der Stunde besser orientiert zu sein. Aber ich finde derzeit keine freie Zeit dafür, die Zeit ist einfach zu knapp.