Derart vorbereitet starte ich in das neue Schuljahr an der Jazzschool. Ich konnte durch die Schulterproblematik einige Wochen nicht üben und bin erschrocken wie schnell und gründlich ich vieles wieder vergessen habe. Aber ich hatte wegen dem erzwungenen Nichtstun viel Zeit zum Nachdenken und mir sind ein paar Dinge in den Sinn gekommen, die sich dringend in Zukunft im Jazzunterricht ändern müssen.
Erster Punkt meiner Studien: ich versuche ordentlicher und systematischer zu werden. Bisher habe ich meine Zettelwirtschaft in einer Klarsichthülle aufbewahrt, ebenso den Bleistift und den Radierer. Mein Pianolehrer ist sehr akkurat und strukturiert. Ich bin eher, äh, das Gegenteil. Nachdem nicht damit zu rechnen ist, das er sich in dieser Hinsicht ändern wird, werde ich versuchen mich an sein Konzept anzupassen.
Zweiter Punkt: das „Siezen“ zwischen uns muß ein Ende haben. Es passt zu seinem zurückhaltendem Wesen, schafft aber Distanz. Zumal so gut wie jeder in dem Schulgebäude mich duzt, wenn ich angesprochen werde.
Dritter Punkt: ich komme oft ziemlich abgehetzt nach vielen Stunden Arbeit zum Unterricht. S-Bahn Chaos oft gratis inbegriffen. Ich brauche etwas, irgendein Ritual, um anzukommen, etwas womit ich mich auf die Stunde oder ihn einschwingen kann. Das wir etwas gemeinschaftlich spielen, etwas superleichtes, damit ich nicht gleich zu Beginn wieder verzweifle. Vielleicht er auf der Gitarre und ich Klavier oder zusammen etwas Vierhändiges. Zum Synchronisieren. Ich glaube das täte mir gut.
So waren meine Überlegungen.
Die erste Stunde mit dem nun aufgestiegenen Berufsdozenten. Soziales Geplänkel liegt ihm nicht so sehr, deshalb habe ich ihm gleich zu Beginn meine Vorschläge unterbreitet. Wie immer rede ich viel zu viel.
Mein dramatisch eingeleiteter Versuch die fliegenden Notenblätter in dem schönen neuen Ordner demonstrativ abzuheften ging in die Hose. Die Hälfte der Blätter landen auf dem Fußboden! So viel noch mal als anschauliche Beschreibung zu meinem unzureichenden Schauspieltalent.
Auf meinen Vorschlag uns zu duzen wirkt er zuerst etwas überrascht, stimmt dann aber zu.
Meine Idee etwas oder eine Art Ritual für den Einstieg zu entwickeln, will er sich durch den Kopf gehen lassen. Ich bin zwar nicht sicher ob er verstanden hat, worum es mir dabei geht. Ich wünsche da keine Noten oder sonstwas zu lernen sondern eine Art Gleichklang, eine Annäherung zwischen uns zu erreichen wie eine musikalische Begrüßung. Ähnlich dem Einsingen im Chor, wie ein Ankommen und Aufwärmen.
Das kleine Stück welches ich über die Ferien zum Beschäftigen bekommen habe, kann ich so lala, verspiele mich zwar ständig und bekomme es auch rhythmisch nicht ganz hin. Wie immer halt! Hatte durch meine Schulterproblematik nur mit rechts die Noten üben können und es ist noch nicht zu einem Ganzen zusammengewachsen. Ein selbstkomponiertes Lied in zwei unterschiedlichen Teilen; ich bin immer ganz verliebt in diese selbstgeschriebenen Stückchen von ihm.
Der große Unterschied ist aber nun, das es mir nicht mehr ganz so viel ausmacht. Beiße mir nicht vor Verzweiflung innerlich in beide Hände. Habe deutliches Rückgrat durch meinen neuen Klavierpädagogen erworben. Fehler ärgern mich zwar immer noch, aber ich bin momentan in der Lage deswegen nur die Schultern zu zucken. Wenigstens die rechte. Die linke wird voraussichtlich noch eine ganze Weile eingefroren bleiben.