Die internationale Chorakademie in Krems, Niederösterreich liegt hinter mir. Zehn Tage Chormusik, ein großes Hauptwerk, verschiedene Studiochöre, Gehörschule, Dirigieren, Stimmbildung, Komposition, Volkstanz, Karaoke, Abende beim Heurigen, einen täglichen Kanon, Singstunden, schlechtes Essen, wenig Schlaf, angeregte Gespräche mit lauter ähnlich singverrückten Menschen wie man selber einer ist, große Hitze die die Hörsäale in Saunen verwandelt, Yoga für die Frühaufsteher, (angeblich hat es während der Woche welche gegeben !?!), Massagetermine für die überstrapazierte Rücken- und Nackenmuskulatur - wegen dem vielen Notenhalten und aufrechtem Sitzen, Volleyball für die motorisch noch nicht ausgelasteten.
Einen zugleich charismatischen und despotischen Chorleiter, drei erfahrene und engagierte Studiochorleiter, einen anbetungswürdigen Gehörbildungprofessor, fünf sehr unterschiedliche StimmbildnerInnen, drei Organisatoren, die immer in Habachtstellung waren und auf jede Anregung und Beschwerde sofort eingegangen sind (für die wird es zehn Tage Dauerstress gewesen sein), einen immer gut gelaunten, warmherzigen und versierten Korrepetitor der sich nicht erlauben konnte auch nur eine Sekunde während dem Einstudieren so mal vor sich hin zu träumen.
Sehr viele Wiederholungstäter wie ich selber. Ich war erst fünf Mal dabei, zähle zu den einstelligen und werde deshalb noch nicht wirklich ernst genommen. Kann mir aber mit meinem Erfahrungsvorsprung erlauben auf die Erstlinge runterzuschauen.
Die Unterkunft ist „ganz große Klass“, wie der Österreicher sagt. Eine Appartementeinheit für zwei Personen, jeder hat sein eigenes Zimmer mit Bett, Kasten, Schreibtisch, Kühlschrank und Regal. Das Bad und das WC teilt man sich mit dem Appartementgenossen. Normalerweise immer gleichgeschlechtlich, abgesehen von den Ehepaaren. In einem Jahr bin ich mit einem männlichen Faröer gemeinsam im Appartement untergebracht gewesen. Wahrscheinlich ist sein fremdländischer Name weiblich eingeschätzt worden. Hat mir nichts ausgemacht, denn er war tatsächlich einer der ordentlichsten Nachbarn bisher.
In jedem Stockwerk gibt es eine Gemeinschaftsküche mit Herden, Tiefkühlschränken und Geschirr. Man ist also in der Lage sich kleinere Gerichte selbst zu kochen, wenn man das Catering nicht in Anspruch nehmen möchte. Viele der Teilnehmer essen auch in der Umgebung auswärts. Abends beginnt immer eine große Völkerwanderung von vielen der 120 SängerInnen in die nahe gelegenen Heurigenwirtschaften. Dort werden dann angeregt die Fortschritte in den Studiochören, Erlebnisse aus den Heimatchören und mit zunehmenden Weingenuss allgemeine und dann im speziellen sehr philosophische Lebensweisheiten mitgeteilt und durchdiskutiert. Man fühlt sich unter seinesgleichen, und weiß die anderen ticken genauso. Das Gegenüber ist interessiert, weil ähnlich strukturiert. Ein kleines Paradies für die Sänger.
Das diesjährige Hauptwerk war Bruckners F-Moll Messe. In einem der Studiochören konnte, wer Glück hatte, Distlers „Der Totentanz“ belegen. Ich denke, in diesem Jahr eine echte Herausforderung für alle daran Beteiligten. Wahrscheinlich sogar schwieriger als der Bruckner selbst. In einem anderen Studiochor gab es zwei kleinere Ensembles mit Madrigalen, im nächsten einen gemischten Chor mit Liedgut aus aller Welt und den Jazzchor, welchen ich belegt habe. In jedem Jahr sucht sich der Jazzchordozent eine neue kleine rhythmische Schwierigkeit aus. Auch in diesem Jahr nicht ganz einfach; von Pinks „Mr. President“, "Georgia on my mind", "Cant get you out of my head", "So Nice" bis zur Vokalfassung von „Take five“. Daran haben wir uns fast die Zähne ausgebissen, Tempiwechsel und viel Text auf wenig Noten. Eigentlich konnten wir es bis zum Schluss nicht richtig, man kann das auf der Aufnahme des Teilnehmerkonzertes hören. Spaß hat es trotzdem gemacht.
Die Bruckner Messe war gewaltig. Viele Dynamiken die bei Bruckner die Stimmung ausmachen, mußten beachtet werden. Vielleicht war der Chor bei der Aufführung insgesamt zu laut, aber es war ein Erlebnis das Werk einzustudieren und in dieser tollen Gemeinschaft aufzuführen.
Es gab Gehörbildung I und II, Dirigieren I, II und III, 3 Stimmbildungseinheiten über die zehn Tage verteilt.
Der wahre Höhepunkt der Woche ist immer der Karaokeabend mit einer Liveband. Man kann sich eines der 100 vorgeschlagenen Lieder aussuchen oder bringt ein eigenes Leadsheet mit, die Band kann das sofort umsetzen und man singt dazu. Es ist jedesmal unglaublich spannend was es für Talente gibt. Jede Darbietung wird frenetisch beklatscht. Manchmal eher der Mut der- oder desjenigen, als das Ergebnis selbst. Auf jeden Fall immer eine tolle Unterhaltung.
Ich habe heuer auch Dirigieren für Anfänger belegt. Mich interessierte, in wie weit ich mich als Chorsängerin auf die andere Seite einstellen kann. Meine vorläufige Erkenntnis: „schwerer als gedacht!“. Allein nur einen Auftakt und einen Abschlag ordentlich hinzubekommen ist nicht ganz einfach. Natürlich habe mich nicht getraut, eines der Lieder beim TN-Konzert zu dirigieren.
Im Jazzchor haben wir am Ende auch noch eine Einführung ins Dirigieren bekommen. Theoretisch könnte ich jetzt Take five im 5/4 Takt dirigieren, allerdings ohne die Einsätze oder Haltepunkte.
Gehörbildung ist eine gute Grundlage für alle weiteren Kurse, man lernt die Kirchentonleitern kennen, singt Intervalle (war eine großartige Hilfe für den Jazzchor) und erfährt viel Hintergrundwissen. Auf jede Frage wird vom Dozenten mit großer Begeisterung eingegangen. Und da gibt es dann so Streber, die können die Frage nach den drei Terzen in einer lydischen, phrygischen (oder was auch immer) Kirchentonleiter beantworten. Natürlich bin ich da völlig fehl am Platz, aber ich glaube diejenigen die das wissen, sind Leute die wohl eher in Gehörbildung II belegen sollten.
Es kann sein, das ich mir in diesem Jahr ein wenig zu viel vorgenommen habe, es gab zu wenig Ruhephasen. Im nächsten Jahr muss ich entweder Dirigieren, die Singstunden oder Gehörbildung auslassen, die mein Tagespensum schon sehr voll gemacht hat.
Ich hatte ja ein wenig spekuliert, das ich, wenn es sich ergeben sollte, einmal auf dem Flügel im Festsaal oder im Jazzmusikzimmer meine drei Klavierstücke die ich auswendig kann, spielen werde. Aber es war wie verhext, immer saßen Leute drinnen, haben sich noch unterhalten oder selber irgendwelche schwierigere Gesangspassagen auf dem Klavier vorgespielt. Ich hätte mich nur alleine im Raum getraut zu spielen. Also es wurde nix mit meinem kleinen Solo! Ebenso habe ich mich doch nicht in Komposition eingetragen, habe nochmal in der Kursbeschreibung gelesen das es sich dabei um Chorkompositionen handeln sollte. Da passe ich mit meiner kleinen selbstgeschriebenen „Melodie in 6/4“ nicht wirklich rein. Allerdings hätte es mich schon interessiert, ob ich nicht doch noch mit Hilfe des Professors für Tonsatz und Komposition ein schöneres Ende hinbekommen hätte.
Ein paar der Heurigen sind zu Fuß zu erreichen. Die meisten der Kellergassen müssen aber per Auto angefahren werden. Es gibt immer jemand der sich an dem Abend dann mit dem Alkoholgenuss zurückhält. Manch eine der Buschenschanken befindet sich in einer großartigen Lage mit Blick in die Ferne über das Donautal bis hin zum Kloster Göttweig. Wenn der Mond in einer dieser lauen Sommernächte voll überm Himmel steht und sich im Glas vom grünen Veltliner oder Muskateller spiegelt, denkt man, daß das Paradies gar nicht viel anders aussehen muß. Zu essen gibt Käseplatten, Schmalz oder Bratenfettbrote. Immer eine gute Unterlage für den Weingenuss.
Das Salz in der Suppe sind die Unterhaltungen an diesen Abenden. Der Österreicher mit seinem trockenen Humor, der Wiener mit seinem witzigen Schmäh; ich könnte mich regelmäßig wegwerfen vor Lachen.
Am letzten Tag wird von der ICAK noch ein Gottesdienst in der nahegelegenen Kirche mitgestaltet. In diesem Jahr wurde die Schubert G-Dur Messe gesungen. Gottseidank hatte ich die schon im Februar mit dem Kirchenchor einstudiert. Es war sehr schwierig sich auf das zarte Werk einzustimmen, nachdem wir am Abend vorher lauthals die Bruckner Messe mit großem Orchester, Blechbläsern, die fast nicht unter Kontrolle zu bringen waren und unter dem gestrengen Blick des Dirigenten aufgeführt hatten.
Nach der Heimkehr landet man meist sehr hart in der Realität. Plötzlich wieder für sich sein, ohne das viele Singen, das ja irgendwie glücklich macht, ohne Menschen nahe einem, das evoziert Entzugserscheinungen. Es dauert eine Weile bis man wieder auf der Erde landet.
Es ist schwierig anderen Leuten klar zu machen, was man auf der ICAK erlebt. Ich sage immer: „Es ist wie ein Chorwochenende, nur viel toller und länger.“ Trotzdem gibt es diesen Informations- und Erlebnisvorsprung den man selber hat und dem man seinen Zuhörern nicht plausibel machen kann. Man muß es einfach selber erleben. Dann sagen manche, sie seien schon nach einem Chorwochenende, also nach 2 Tagen, fix und fertig. Sie unterschätzen die Energie und die positiven Emotionen die auf dieser Woche frei gesetzt werden. Die tragen einen noch eine ganze Weile durch den Alltag. Der Klangtherapeut Wolfgang Friederich sagt: „Es ist unglaublich wie viele Menschen durch das Singen vom Denken wegkommen. Je weniger man denkt, umso leichter können die Wiederholungen von Melodien und Worten in einen tief hinein sinken“. Singen tut nicht nur der Seele gut, sondern auch dem Körper – unter anderem, weil es irgendwie auch Sport ist. Man stabilisiert die großen Rumpfmuskeln beim Aufrechtsitzen, weil man oft im Rhythmus mitschwingt, ja fast mittanzt, dabei werden dann auch die kleinen Muskeln aktiviert. Von dem intensiven Atmen gar nicht zu reden.
Die Ruhepausen kann man sich ja selber einteilen, was ich in diesem Jahr ein bisschen versäumt habe, wie oben schon erwähnt.
Klar, der Bruckner war anspruchsvoll und allem voran der Distler für die Aufführenden und Zuhörer geradezu erschütternd. Das Ensemblesingen mit seinen wenigen Sängern sehr exponiert. Aber jeder, wirklich jeder mit dem man hinterher gesprochen hatte, war sehr gelöst und stolz auf sein Mitwirken an dem Ganzen. Gemeinsam mit vielen und das mit allergrößter Leidenschaft. Das liebe ich an dieser Woche so sehr und ich bin froh das ich ein kleines bißchen mit meiner Teilnahme am Gelingen dieser dazu beitragen durfte.