Ich habe es nie erwähnt, aber in einer der früheren Unterrichtsstunden bekam ich einmal ein Übungsblatt mit dem Titel „Blowing in the Wind“. Großartig. Bob Dylan kommt bei mir gleich nach Leonhard Cohen und noch vor Bruce Springsteen auf der Unfavoritenliste. Habe damals ein wenig die Akkorde ausprobiert, wiedermal. In diesem Fall war es ganz gut, weil ich sie mit rechts spielen sollte und links die Melodie. Damit konnte ich meinen linken, strapazierten Arm und die Hand etwas entlasten. Die Vorgabe war: „Bitte nicht die Notenbezeichnungen drunter schreiben, damit Sie die Noten im Bassschlüssel kennenlernen“. Habe ich auch brav nicht gemacht und deshalb kann ich nun einzelne schon identifizieren.
Habe in der darauffolgenden Woche dann angemerkt, das ich nicht so scharf drauf wäre da weiter zu machen wegen akuten Nichtmögens dieses Musikers. Hoffte das die Situation geklärt ist und dachte leichtsinnigerweise ich könnte mir da weiteres ersparen. Inzwischen sollte mir vielleicht klar sein, das ich mit diesem beharrlichen Lehrer nicht so leicht und unbesehen davon kommen werde!
Das Ganze geriet in Vergessenheit. Und so war ich ehrlich überrascht als ich das Blatt wieder hervorholen sollte. Es war das allerletzte Blatt in meiner Sammlung und natürlich hatte ich alle Fingersätze der einzelnen Akkorde längst wieder vergessen. Aber für mein Selbstwertgefühl und für den Zustand seiner Nerven war es sicherlich hilfreich das es gar nicht solange gedauert hat, bis sie mir einigermaßen vertraut waren.
Tja und dann mit links die Töne gespielt und erklärt bekommen, das es bei jedem Ton eine Quinte nach oben und eine Quarte nach unten gibt und das beides in diesem Fall immer passt. Und das man damit ein wenig Variabilität in ein Stück bringen kann. Hat sich gut für mich angehört, ich glaube ich habe verstanden worum es dabei geht.
Ich weiß zwar noch nicht praktisch, wie ich das außerhalb dieses Stückes einsetzen kann; in diesem fiel es mir leicht. Wahrscheinlich hat er die Noten vorsätzlich so vereinfacht gesetzt das es mir nicht so schwer fällt die Quinten und Quarten nach der Vorgabe anzuwenden. Das heißt aber auch, diese Attacke war vor Wochen schon von langer Hand strategisch geplant gewesen. Und dieses Verschwinden des Blattes im Ordner hat mich nur in einer trügerischen Sicherheit wiegen lassen. Ich muss mir alle weiteren Blätter noch mal ansehen um möglicherweise auf weitere Angriffe gefasst zu sein.
Vor ein paar Nächten habe ich das erste Mal vom Klavierspielen geträumt. Nichts dramatisches oder größenwahnsinniges. Das ich beispielsweise etwa Tschaikowskys 1. b-Moll Klavierkonzert oder so wunderbar wie Bill Evans spielen könnte. Es war ein viel kleinerer Traum, aber er hat ein gutes Gefühl beim Aufwachen hinterlassen und ich war den ganzen Morgen lang glücklich.
Beim Singen in den Chören bemerke ich, das ich den einen oder anderen Ton besser erkenne. Einmal haben die Bässe versehentlich rhythmisch und gleichzeitig tonal richtig eingesetzt. Vor lauter Schreck über dieses singuläre Ereignis mußte ich dabei an eines meiner Stücke denken, an das „A“ dort, denn es kam mir sehr bekannt vor. Nachgeschaut: es war tatsächlich eines! Vielleicht erreiche ich mit dem Klavierspielen noch ein besseres und profundes Verständnis in der Chormusik für mich.
Da ist noch eine Sache die mir etwas im Magen liegt. Das Schuljahr an der Neuen Jazzschool München neigt sich dem Ende zu und im zukünftigen werde ich den nächsten Newcomer-Dozenten erhalten. Mein bisheriger wird die Schule beenden und sich neuen Aufgaben zuwenden. Das tut mir jetzt schon leid, denn ich mag ihn so gern und fürchte mich vor einem Wechsel. Keine Ahnung ob der oder die neue Dozentin ein ruhiger und entspannter Mensch sein wird. Falls er/sie aber das Gegenteil sein wird und ich je Anzeichen von Ungeduld mir gegenüber erkennen muß, werde ich noch unsicherer und ungeschickter werden. Das weiß ich jetzt schon.