Das erste Mal

Die Neue Jazzschool München e.V. liegt idyllisch auf einer der Würminseln. Ich habe mir dort vor vielen Jahren mal eine Shakespeare Theateraufführung vom Sommernachtstraum angesehen. An einem lauen Sommerabend open-air. Ob es diese Veranstaltung immer noch gibt?

In der Schule ist ein lebendiges Kommen und Gehen. Junge Menschen wechseln von einer Unterrichtsstunde zur nächsten. Ich werde als fremd erkannt und angesprochen, ob und wen ich suche, wo ich hinmöchte oder ob ich Hilfe benötige. 
Mein Lehrer taucht auf, er trägt einen schweren Gitarrenkoffer. Ein schmaler, fast zerbrechlich wirkender junger Mann. Sehr aufrechte Haltung. Klare Augen. Leise Stimme. Wunderschöne Hände. Er scheint ein ruhiges Wesen zu haben. GottseiDank. Ich komme mir im Vergleich hektisch vor. Wahrscheinlich bin ich das auch, weil sehr nervös. Sein Hauptfach ist die Gitarre und er nimmt an der Schule am pädagogischen Aufbaujahr teil. Da lernt man hoffentlich mit solchen Anfängern wie ich einer bin, gut und einfühlsam umzugehen.

Er will wissen warum ich die Jazzschool ausgewählt habe und nicht klassischen Klavierunterricht nehme. Ich zeige ihm das Buch mit der Selbstlernmethode. Der Inhalt wäre nicht ganz das was er unterrichten würde; ich könne aber gerne weiter daraus üben und ihn gegebenenfalls um Hilfe bitten. Er hat ein paar Zettel mit grundlegenden musikalischen Informationen für mich zusammengestellt und ist ein bisschen froh das ich durch mein Selbstlernprogramm von einigen Dingen schon gehört habe.
Ich bekomme ein ganz kleines erstes Stück zum Kennenlernen: "Meeresrauschen". Es hat eine zarte und ein bißchen wehmütige Stimmung. Wenige Takte. Akkorde für die linke und die Melodie für die rechte Hand. Es hört sich wunderhübsch an und gefällt mir sehr gut.  

piano 2173426 1920Wir üben auf einem Flügel. Sehr beeindruckend, aber auch ein wenig beängstigend. Der Raumklang ist gewaltig. Ich bin doch nur die elektronischen Klänge über meinen Kopfhörer gewohnt. Auch soll ich die Tasten fester runterdrücken aber ich fühle mich noch viel zu schüchtern dafür. Die Tonfolge rechts spiele ich isoliert, das geht schon ganz gut. Beim daheim-üben habe ich die schwarzen Tasten als hilfreich empfunden. An denen kann ich mich topographisch etwas orientieren ohne auf die Klaviatur zu schauen.
Mit den Akkorden im Bassschlüssel habe ich schon mehr Schwierigkeiten. Drei Tasten auf einmal und gleichzeitig niederzudrücken, und nach jedem Akkord ein Wechsel zu einem anderen. Das ist nicht so einfach. Meine Finger brauchen ewig bis sie richtig positioniert sind. Es ist fast nicht auszuhalten wie ungeschickt sie sind! 

Nun soll ich die Akkorde spielen, die ich eh nicht wirklich spielen kann und dazu mit der rechten Hand improvisieren. Hah! Wie soll das denn gehen? Ich weiß ja noch nicht mal genau, was improvisieren in diesem Fall bedeutet. Einfach nur irgendwas zu spielen kommt mir eigenartig und fremd vor. Ich bekomme die Aufgabe als Hausaufgabe. Zuhause kann ich mich dann in Ruhe damit beschäftigen. 

Wir vereinbaren nun doch immer wöchentlich eine Unterrichtsstunde zu nehmen. Auch wenn ich es zeitlich aus beruflichen Gründen in einer Woche mal nicht schaffen sollte zu üben, könnte man dann wenigstens an der Haltung oder an der Technik arbeiten. 

Die Stunde hat mir gut gefallen und ich bin ich superengagiert. Möchte ganz schnell das kleine Stück schön spielen können. Aber diese Akkorde stellen mich vor eine große Herausforderung. Das rumsuchen, ausprobieren und nochmal anschlagen ist schon enervierend. Zudem möchte ich die einzelnen Töne des Akkordes kennenlernen. Keine Ahnung ob das sinnvoll ist und sich irgendwann zu einem Verständnis entwickeln wird. Manchmal denke ich, das ich den richtigen spiele, aber meine Ohren hören, das er falsch ist. Gut das ich einen Kopfhörer habe. Wahrscheinlich würde ich jetzt jeden noch so wohlmeinenden Nachbarn auf die Übeart und -weise zum Wahnsinn treiben. Dann habe ich noch nicht verstanden warum der eine C oder F heißt, der andere Amoll? Welche Referenz oder Gesetzesmäßigkeit bedeuten die unterschiedlichen Abstände der einzelnen Noten im Akkord?


Ich übe nie sehr lange. Über den Tag verteilt mehrere Male, jedesmal ca. 10 Minuten. Denke, das könnte für mein motorisches Gedächtnis ein bisschen nachhaltiger sein als einmal pro Tag für eine ganze Stunde am Klavier zu sitzen.