Wie man sich selbst zum Affen macht!

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September 2020

Eine detaillierte Anleitung hierfür.

Grundvoraussetzung dazu war mein Plan die nächste Jazzpiano-Dozenten-Generation an der Neuen Jazzschool nach meinem Willen zu formen. Habe ein paar Überlegungen angestellt und eine Nachricht mit meinen Wünschen an den neuen Dozenten geschickt.

Mit seiner Antwort erkennen können, das sich 24-jährige nicht einfach wie eine Figur auf einem Spielbrett hin- und herbewegen lassen wollen.

 

Also, meine Idee von der ersten Stunde war folgende: Wir lernen uns erstmal nur von Mensch zu Mensch kennen und erzählen ein wenig von uns selbst. Ich glaube, daß ich es nicht noch mal aushalten könnte, so wenig über eine Person zu wissen, mit der ich in einem Schüler-Lehrer Verhältnis stehe.

Ich bringe Kaffee mit und der Klavierdeckel bleibt zu. Ich berichte ihm von meinen Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem bisherigen Unterricht mit beiden Lehrern. Wir sprechen über mögliche Pläne und Vorstellungen, die er und ich für unsere Zusammenarbeit haben und die umgesetzt werden könnten. Wir bauen Kontakt zueinander auf, werden vielleicht oder hoffentlich warm miteinander.

 

Ich fand, das ich das ganz überzeugend an ihn formuliert hatte. War ehrlich überrascht als seine Antwort kam; fast ein wenig väterlich gekontert: "Nette Idee, meine liebe Claudia. Aber wir werden es anders handhaben. Ich bin dein neuer Klavierlehrer und muß sehen was du kannst. Wir setzen uns in jedem Fall ans Klavier. Punkt. Aus. Ende."

Manno! Halb war ich hin- und hergerissen zwischen der Enttäuschung das mein Vorhaben so schnell in die Hose gegangen ist. Aber auch erfüllt mit leichter Bewunderung, das der neue Dozent sich jetzt schon klar behaupten kann.

 

Am Morgen vor der ersten Stunde habe ich, was wirklich selten genug vorkommt, in mir plötzlich ein bisschen Widerspruchsgeist entdecken können. Und ihm in einer Rückantwort verkündet, das wir uns trotzdem bei der ersten Begegnung erstmal nur kennenlernen werden. Dies sei mein Wunsch für unsere erste Unterrichtsstunde. Und in der darauffolgenden Woche darf er seinem Bildungsauftrag nachkommen, zu dem er von mir engagiert wurde. Da wäre dann genug Zeit um eine solide Anamnese vom Ist-Zustand zu erstellen. Und erst danach darf er den Fahrplan für den weiteren Unterricht festlegen. Dem ich unbedingt und klaglos folgen werde. Habe ich schon mal erwähnt wie folgsam ich meist bin?

 

Darauf folgte ein schneller Austausch mit Nachrichten von uns beiden mit dem Inhalt ob wir uns oder doch nicht ans Klavier setzen. Irgendwann habe ich sie vorsichtshalber nicht mehr gelesen. Vielleicht wäre ich dann in meinem Rekurs schwankend geworden. Ordentlich lächerlich habe ich mich allerspätestens zu diesem Zeitpunkt gemacht. Leise Scham über mich selbst, das ich mich schon wieder so anstelle!

Habe aber, ganz ehrlich, diesen lebhaften Wechsel hin und her von uns beiden, noch Unbekannten, interessant und sogar schon ein wenig witzig empfunden. Dachte so bei mir, das könnte ein guter Anfang mit uns werden.

Hatte dann doch Herzklopfen, als ich mit zwei Becher Kaffee in der Hand zur Jazzschool marschiert bin.

 

Physisch das komplette Gegenteil meines vorherigen Dozenten. Im Bayrischen sagt man zu dem einen, das ist aber in beiden Fällen wirklich liebevoll gemeint, „a Zarterl“ und zum anderen „a gstandenes Mannsbild“. Witzigerweise kennen sich beide aus ihrer Schulzeit und haben sogar mal gemeinsam in einer Band gespielt.

An der Neuen Jazzschool haben sie sich nun wieder getroffen. Der eine hört als Lehrer und Musiker auf um ein Hochschulstudium anzutreten. Der Neue hat bereits ein Studium hinter sich. Das im übrigen ebenfalls gar nichts mit dem zu tun hat, was er jetzt an der Jazzschule lernen wird. Er sieht aber durchaus Chancen für sich mit der Musik glücklich zu werden und auch damit sein Leben gestalten zu können.

 

Ich bewundere diese jungen Menschen sehr. Sie machen sich so viele Gedanken über ihre Zukunft, gehen dabei vielleicht nicht unbedingt den graden Weg. Aber für mich ist es sehr tapfer eine Entscheidung zu treffen, die eine komplette Kehrtwende darstellt. „Jetzt“, in diesem Moment, ist in ihrer beider Leben der richtige Zeitpunkt. Nicht erst mit 40, wenn man völlig frustriert ist, weil man nie den Mut besessen hat, etwas zu ändern was einem im Inneren schon lange nicht mehr zufrieden stellen vermag. Es fehlt in diese Phase der Neuorientierung bestimmt an Halt und Sicherheit. Trotzdem beschreiten sie mutig ihren Weg in eine neue Richtung. Chapeau.
Ich muß an Marc Aurels "Selbstbetrachtungen" denken. Die Verantwortung, die jeder Mensch sich selber gegenüber hat, haben diese beiden mit einer kompletten Richtungsänderung in ihrem Leben schon sehr früh und konsequent auf sich genommen.

 

Das Kaffeeangebot wurde dann, wenngleich ein wenig widerstrebend, akzeptiert. Erster Pluspunkt für ihn. Er hat sich auf meine Gesprächsbemühungen eingelassen und mit mir geplaudert. Sicherlich hat er bemerkt, das ich sehr nervös war.

War etwas überrascht als ich erfahren habe, das keine „Übergabe“ von mir stattgefunden hat. Sagt er zumindestens. Weiß zwar nicht, ob ich das glauben soll oder kann. Ich dachte es wäre Konsens bei einem Dozentenwechsel vom Unterrichtsverlauf mit dem Schüler eine kleine Zusammenfassung weiterzugeben. Und ehrlich, in meinem Beruf keine Patientenübergabe, das wäre ein absolut verwerfliches „NeverEver-NoGo“.

Ich war aus zwei Gründen irritiert. Erstens, gebe das zwar ungern zu, hat es mich ein wenig gekränkt. Übersetzt heißt es doch: ich bin eine ganz und gar unwichtige Schülerin. Austausch deshalb absolut nicht notwendig.
Und deshalb, zweitens, mußte ich dem neuen Dozenten nun höchstselbst von all meinen Mängeln, dem fehlenden Rhythmusgefühl, vielen Verständnisschwierigkeiten und den daraus resultierenden Nervenzusammenbrüchen erzählen. Eigentlich hätte ich mir das wirklich sehr gerne abnehmen lassen.

Aber gut. Der Neue kann neben dem Klavier noch zwei weitere Instrumente spielen und lernt jetzt an der Schule zusätzlich ein viertes. Einfach so, aus Lust und Freude an diesem Instrument. Was sind das doch nur für talentierte und musikalische junge Menschen an dieser Schule?

 

Bei seinem dritten Versuch mich endlich ins Schulgebäude hinein zu lotsen, mußte ich meinen Widerstand aufgeben. Hatte das leise Gefühl mit jeder weiteren Minute und Weigerung mich ans Klavier zu setzen, wirke ich noch merkwürdiger auf ihn als ich das eh schon tue. Schon die Art und Weise wie er selbstbewußt vor mir her geht und das Gebäude betritt, läßt vermuten das er Dinge gerne in die Hand nimmt und nach seinen Regeln ablaufen läßt.

Trotzdem war er wirklich lieb zu mir, und hat ein paar einfache Fragen zum Klavier gestellt. Als ich bei den Antworten mich in altbekannter und gewohnter Manier selber heruntergeputzt hatte, meinte er freundlich: „Ich gewinne langsam den Eindruck du machst dich gerne etwas schlechter als du eigentlich bist". Bei diesen Worten ging mein Herz auf. Zweiter Pluspunkt auf seiner Habenseite.

 

comica1601546620697Das er gut Klavierspielen kann wußte ich schon. Ich konnte ihn als Pianist bei einem Event vom Kulturlieferdienst München, gleich bei mir um die Ecke in Schwabing mit seiner Band spielen hören. Dritter, und gar ein dicker Punkt für ihn.
Ich erhalte regelmäßigen einen Newsletter der BFS und darin stand im Juli eine kleine Ankündigung für das Konzert. Das Quartet hat seine Musik vorstellen können. Die Musikrichtung nennt sich „Ambient Jazz“ und läßt sich sehr gut anhören. Piano, Saxofon, Schlagzeug und ein Kontrabass.
Ich habe, inkognito sozusagen, mit einer Freundin zugehört. Das Konzert war perfekt für den lauen Sommerabend in der Stadt. Ein Cocktail in der Hand und dazu die atmosphärische und energetische Musik im Ohr.

 

Ich fand es großartig, daß ich in so einem kurzen Zeitrahmen jeweils meinen alten und den neuen Dozenten als Musiker erleben durfte.

Nach dem Lockdown und dem unfreiwilligen Rückzug ins Private sind solche Ereignisse für mich noch eindrucksvoller, als sie das in der Vergangenheit mit all den vielen Ablenkungen und Verpflichtungen im normalen Leben waren.

PS. Heißen Dank an mein kleines Model Casimir! Es tut mir leid Rizzi, das ich ihn ausziehen mußte. Er wollte unbedingt eine Aufnahme von sich mal ohne sein Shirt haben und hat so charmant darum gebeten. Ich konnte ihm nicht widerstehen. Habe ihn aber nach der Session gleich wieder angekleidet. Denn was sein muß, muß sein!